Louis et nous 3

Claudia Barth
Lukas Goersmeyer
Andreas Kalbermatter
Anna Lucia Nissen

Text: Lukas Juretko

08.09. / 16 - 20h

Rathenauplatz
50674 Köln

„Von einer Schwalbe erwartest du, dass sie den Frühling bringt?“

An einem Frühsommertag 1925, vor einem Schaufenster in der Rue Racine. Schüsse fielen. Fünf Mal knallte es, bevor ein Körper zu Boden sank. Zwei weitere Schüsse folgten kurz darauf. Ein anderer Körper setzte sich in Bewegung, zur nächsten Gendarmerie. Der Überlebende überreichte dem Gendarmen seine Pistole und ließ sich in Gewahrsam nehmen. Später gab dieser Gendarme zu Protokoll, der junge Mann hätte ein Gesicht gehabt, ähnlich einem Buch, in dem wunderliche Dinge geschrieben stünden.

Wie konnte der Überlebende überzeugt davon sein, dass der Getötete in einer Verantwortung stand, die nur durch einen Mord gesühnt werden konnte? Konnte der Getötete wirklich nur auf diese Weise für eine Schuld an lange vergangenen Taten zur Rechenschaft gezogen werden?

Der in Haft Genommene war sich nach seiner Tat noch nicht einmal sicher gewesen, ob er den richtigen Mann erschossen hatte. Das einziges Mittel, das ihm zur Identifizierung diente, war eine kleine Photographie des Mannes. Er hatte sie aus dem Band einer französischen Enzyklopädie ausgeschnitten, in der Hoffnung, ihn auf der Straße wiederzuerkennen.

Weder der Überlebende, noch der Tote stammten aus Paris. Beide waren Exilierte, geflohen aus ihrer Heimat. Der eine war nach Paris gekommen, um dort als Uhrmacher sein Geld zu verdienen. Der bekennende Anarchist hatte ausserdem unter Pseudonym mehrere Gedichtbände veröffentlicht. Der andere war als Publizist und Herausgeber der ukrainischen Exilzeitung „Tryzub“ tätig. Beide sahen sich als Kämpfer für die Gerechtigkeit, jeder für seine eigene Sache.

Obwohl der Täter seiner anarchistischen Linie treu blieb, erhielt er von politisch unterschiedlich motivierten Organisationen Unterstützung. Auch Privatleute sammelten Spenden, damit die Prozesskosten gedeckt werden konnten.
Nur seine Frau Anna lehnte in einer von ihr geschalteten Zeitungsannonce jegliche finanzielle Unterstützung ab.

Im Laufe des Prozesses sollte nicht die Verantwortung des Überlebenden an seiner Tat verhandelt werden, sondern seine Berechtigung zu dieser. Dazu wurden Zeugen geladen, die Auskunft darüber geben sollten, was den Uhrmacher zu seiner Tat bewogen hatte, warum gerade er sich in der Pflicht gesehen hatte, den Anderen zu ermorden. Es war keine Lust am Morden, die ihn dazu bewogen hatte. Vor Gericht sagte er aus, dass die Tatsache, den richtigen Mann erschossen zu haben, seine einzige Befriedigung darstellte.

Um die Motive des Angeklagten weiter zu klären, verhandelte das Gericht nun vielmehr das Ausmaß der Verbrechen, das dem Getöteten zur Last gelegt wurde. Das französisches Gericht übernahm die Aufgabe eines internationales Tribunals.
Es sah sich der Aufgabe verpflichtet, Recht zu sprechen über Taten, die dem Ermordeten zur Last gelegt wurden. Dieser soll vor seiner Zeit in Frankreich für zahllose Gräueltaten verantwortlich gewesen sein. Die Beteiligten des Prozesses mussten sich dabei auf die Aussagen von Zeugen, Gutachtern und Vertretern von Organisationen verlassen. Die Aussagen der Zeugen führten Anwälte und Richter dazu, die geschilderten Geschehnisse als Akte der Barbarei zu verurteilen, welche in Frankreich ausgeschlossen seien.

Dies half dem Angeklagten. Er hatte während des Krieges auf französischer Seite gekämpft, und wurde nach Ende des Krieges naturalisiert. So konnte sein Anwalt nun bei seinem Abschlussplädoyer erklären, dass seine Tat ein zivilisierter Akt gewesen sei, ein Zeichen der gelungenen Integration. Die Tat zeige schließlich wieder, dass die in der französischen Revolution erkämpften Werte von universaler Natur seien.

Die Gegenseite behauptete, dass der Mann, der nun vor seinem Urteil stand, ein Risiko für die französische Gesellschaft darstelle. Immerhin hatte er auf einer belebten Straße mitten in Paris einen Mann kaltblütig zu Boden geschossen, von dessen Identität er nicht einmal überzeugt gewesen war. Auch dies sei ein barbarischer Akt gewesen, und der Täter sei offenbar nicht in der Lage, eine gewisse Wildheit zu überwinden. Seine politische Überzeugung spiegele dies deutlich wieder. Selbst die Verbindung zwischen bolschewistischen Agenten und dem Täter seien nicht auszuschließen.

Nach der Urteilsverkündung verließ der Uhrmacher durch eine kleine Seitentür das Gerichtsgebäude und kehrte zurück in seine Werkstatt. Mehr als ein Jahr war zwischen dem Mord und der Freisprechung vergangen, die er im Gefängnis „La Santé“ verbringen hatte müssen. Seine Sehkraft war durch das Halbdunkel der Zelle soweit beeinträchtigt worden, dass er unfähig war, seiner Arbeit weiter nachzugehen.
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